Friedrich von Hagedorn (1708 bis 1754)



An eine Schäferin

Erwache, schöne Schäferin,
Falls dieser Kuß nicht zu bestrafen;
Doch wenn ich dir zu zärtlich bin,
Schlaf', oder scheine mir zu schlafen.

Die Unschuld, die nur halb erwacht,
Wenn Lieb' und Wollust sie erregen,
Hat öfters manchen Traum vollbracht,
Den spröde sich zu wünschen pflegen.

Was du empfindest, ist ein Traum;
Doch kann ein Traum so schön betrügen?
Gibst du der Liebe selbst nicht Raum,
so laß dich doch ihr Bild vergnügen.


Das Kind

Als mich die Mama
Hänschen küssen sah,
Strafte sie mich ab.
Doch sie lachte ja,
Als ihr der Papa
Heut' ein Mäulchen gab.

Warum lehrt sie mich:
Mädchen! Mach's wie ich?
Sieh', was andre sind.
Nun ich solches tu,
Schmählt sie noch dazu;
Ach, ich armes Kind!

Schwestern! Sagt mir's sein:
Ist mir, weil ich klein,
Noch kein Kuß vergönnt?
Seht! Ich wachse schon,
Seit des Nachbars Sohn
Mich sein Schätzchen nennt.


Der Tag der Freude

Ergebet euch mit freien Herzen
Der jugendlichen Fröhlichkeit:
Verschiebet nicht das süße Scherzen,
Ihr Freunde, bis ihr älter seid.
Euch lockt die Regung holder Triebe;
Dies soll ein Tag der Wollust sein:
Auf! ladet hier den Gott der Liebe,
Auf! ladet hier die Freuden ein.

Umkränzt mit Rosen eure Scheitel
(Noch stehen euch die Rosen gut)
Und nennet kein Vergnügen eitel,
Dem Wein und Liebe Vorschub tut.
Was kann das Totenreich gestatten?
Nein! lebend muß man fröhlich sein.
Dort herzen wir nur kalte Schatten:
Dort trinkt man Wasser und nicht Wein.

Seht! Phyllis kommt: O neues Glücke,
Auf! Liebe zeige deine Kunst,
Bereichre hier die schönsten Blicke
Mit Sehnsucht und mit Gegengunst.
O Phyllis! glaube meiner Lehre!
Kein Herz muß unempfindlich sein.
Die Sprödigkeit bringt etwas Ehre;
Doch kann die Liebe mehr erfreun.

Die Macht gereizter Zärtlichkeiten,
Der Liebe schmeichelnde Gewalt,
Die werden doch dein Herz erbeuten;
Und du ergibst dich nicht zu bald.
Wir wollen heute dir vor allen
Die Lieder und die Wünsche weihn.
O könnten Küsse dir gefallen
Und deiner Lippen würdig sein!

Der Wein, den ich dir überreiche,
Ist nicht vom herben Alter schwer.
Doch, daß ich dich mit ihm vergleiche,
Sei jung und feurig, so wie er.
So kann man dich vollkommen nennen:
So darf die Jugend uns erfreun,
Und ich der Liebe selbst bekennen:
Auf Phyllis Küsse schmeckt der Wein.