Franz von Gaudy (1806 bis 1840)
Ich saß im Abenddunkel
Im Stübchen jüngst allein,
Da trat mit lautem Jubel
Ein feines Bürschchen ein.
Sein Stimmchen war so schwankend,
Wie zwischen Kind und Mann;
Ich sah den fremden Knaben
Mir ganz verwundert an.
Er spielte mit der Gerte
Nach junger Stutzer Art,
Und strich mit weißen Händen
Den kleinen schwarzen Bart.
Es hingen dunkle Locken
Tief ihm in's Angesicht,
Doch schloß das knappe Röckchen
Bei'm Busenstreife nicht.
Und als ich lange schweigend
Ihm in's Gesicht geblickt,
Umarmte ich den Kleinen
Sich sträubenden, entzückt.
Trotz allem Flehn und Bitten
Zog ich ihn auf den Schoß
Und von den Rosenlippen
Küßt' ich das Bärtchen los.
Und Gert' und Mütze fielen
Dem kleinen aus der Hand -
Längst hatt' ich ja mein Liebchen,
Mein schelmisches, erkannt.
Gäste kamen heute, kamen gleich zu Dreien,
Jeder brachte Gaben, jeder wollte freien,
Einer war der Schöne, wußte schön zu reden,
Gab drei helle Bänder aus buntseid' nen Fäden.
Häßlich war der Zweite, aber der Unholde
Brachte mir drei Napfen ganz von laut'rem Golde;
Doch der dritte schenkte mir drei blüh'nde Rosen
Und gab mir drei Küsse unter süßem Kosen.
Meinen Bruder säh' ich gern im ersten Knaben,
Möchte wohl den zweiten treu als Nachbar haben;
Dem, der mit den Rosen Küsse mir gegeben,
Möchte ich meine Augen schenken und mein Leben.